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Kommentar: "Design Follows Function" - Dieser Grundsatz gilt offenbar nicht mehr für Safari unter iOS

Ich hatte bereits vor einigen Wochen einen Kommentar zu der aus meiner Sicht völlig misslungenen Umgestaltung von Safari unter iOS 15 veröffentlicht. Was in der Theorie sicherlich erstmal gut gemeint ist, nämlich die am häufigsten genutzten Funktionen, wie auch die Adresseingabe nach unten und damit bei immer größeren werden Displays näher an die Finger des Nutzers zu verlegen, gestaltet sich in der Praxis als extrem unpraktisch und wenig benutzerfreundlich. Die Kritik der Betatestern ist selbstverständlich auch Apple nicht verborgen geblieben. Und so versuchte man in den letzten Betaversionen Stück für stück nachzubessern. Der durchschlagende Erfolg blieb dabei allerdings auch weiterhin aus.

Während es in der ersten Beta noch so war, dass die Adressleiste beim Eingeben der Adresse wieder an den gewohnten oberen Displayrand sprang, wurde sie in einer späteren Beta direkt über der erscheinenden Tastatur eingeblendet. Dies war noch eine der besseren Ideen. Durch die extrem kompakte Darstellung der Adressleiste, was vielleicht auf Geräten mit größeren Displays, wie dem Mac oder dem iPad noch sinnvoll ist, wird die Funktionalität auf dem iPhone derart beschnitten, dass Apple versucht, die gewohnten Bedienelemente in Touchgesten zu verlagern. So beispielsweise das Neuladen einer Seite per Pull-to-Refresh oder das horizontale wischen über die Adressleiste zum Wechseln zwischen den geöffneten Tabs. Das Vor- und Zurückspringen in ein und demselben Tab ist bereits seit Jahren mit einem Wisch vom rechten bzw. linken Bildschirmrand auf der Webseite möglich. Dennoch hat Apple in der aktuellen Beta nun versucht, in die ohnehin schon extreme Adressleiste auch noch diese Bedienelemente zu integrieren. Am linken Rand der Leiste findet man nun einen Vor- und einen Zurückbutten, die mehr als fummelig zu bedienen sind.

Noch schlimmer ist jedoch die Integration des Reload-Buttons in die Adressleiste direkt neben die URL der geöffneten Seite. Ich weiß nicht, wie oft ich inzwischen auf die Adressleiste getippt habe, um eine neue URL einzugeben und mich gewundert, warum die Tastatur nicht erscheint. Der Grund: Ich habe ständig auf den Reload-Button getippt, was ein Neuladen der Seite ausgelöst hat, nicht jedoch die Tastatur hervorbrachte, um eine neue Adresse einzugeben. Die Position des Buttons ist also maximal ungünstig. Selbstverständlich habe ich dabei im Hinterkopf, dass es sich nach wie vor um eine Beta handelt und der Button jederzeit noch an eine andere Stelle wandern oder auch wieder komplett verschwinden kann. Dennoch zeigt das Beispiel, dass nach wie vor der Grundsatz gelten sollte "Design Follows Function", was hier definitiv im aktuellen Stadium nicht der Fall ist.

Zudem stellt sich generell die Frage, ob eine derartige Veränderung der gewohnten und vor allem Bewährten Bedienung des mobilen Safari-Browsers notwendig und vor allem sinnvoll ist. Hinzu kommt, dass verschiedene Webseiten überhaupt nicht für eine Adresszeile am unteren Bildschirmrand vorbereitet sind. An dieser Stelle findet man auf vielen Seiten nämlich inzwischen den sogenannten "Cookie Consent" über den man der Nutzung von Cookies zustimmen oder diese ablehnen kann. Aktuell wird der Zustimmungs-Button jedoch vielfach von Apples schwebender Adressleiste verborgen, so dass man nur mit viel Fummelei, Gescrolle und Gewische es überhaupt hinbekommt, den besagten Button anzutippen.

Ein wesentlicher Aspekt bei der Bedienung von Hard- und Software ist natürlich in erster Linie auch Gewohnheit. Diese von jetzt auf gleich umzustellen, ist oftmals mit Ablehnung und Irritationen verbunden. Ich weiß nicht wie oft ich seit ich mit iOS 15 unterwegs bin mit dem Daumen in die Nähe des oberen Displayrandes getippt habe, nur um dann festzustellen, dass die Leiste, in die ich eine neue Adresse eingeben wollte, dort nicht mehr zu finden ist. Tippt man sie dann nach einer kurzen Umorientierung am unteren Bildschirmrand an, erscheint in der Regel brav die Tastatur, wenn man nicht mal wieder versehentlich den Reload-Button erwischt hat. Wie gesagt, gut gemeint aber leider sinnlos. Bei jedem anderen Browser ist die Adressleiste oben, hier auf einmal nicht mehr. Das Argument mit den Fingern lasse ich gelten, sticht jedoch die Gewohnheit nicht. Auch die gewohnten Bedienelemente, die sonst immer standardmäßig dort eingeblendet waren, wo nun die Multifunktions-Adressleiste sitzt, fehlen und müssen erst mit einem Tap auf die Leiste selbst und dann auf den Teilen-Button. Auch dies ist definitiv kein Fortschritt. Wer erwartet hinter dem Teilen-Button schon Funktionen wie "Neu laden" oder "Textgröße ändern"?

Wie bereits erwähnt, erschließt sich mir auch die neue Möglichkeit, zwischen den offenen Tabs per Swipe-Geste auf der Multifunktionsleiste zu wechseln nicht ansatzweise. Dies mag allerdings auch komplett an meinem persönlichen Nutzungsverhalten liegen. So wie ich Safari nutze, sind hier innerhalb kürzester Zeit mehrere zig Tabs geöffnet, übrigens in einer Reihenfolge, die sich mir seit Jahren schon nicht erschließt. Aus diesem Grunde haben Tabs in Safari auf dem iPhone für mich nicht die geringste Bedeutung. Auch dies fällt für mich also als Grund weg, die Leiste nach unten wandern zu lassen.

Selbstverständlich muss man bei aller Kritik, die ich oben an dem neuen mobilen Safari in iOS 15 geäußert habe anmerken, dass dies meine rein subjektive Meinung ist, die sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, dass ich ein absolutes Gewohnheitstier bin. Ich werde dennoch das Gefühl nicht los, dass man hier etwas verändert hat, um etwas zu verändern und nicht weil es sinnvoll ist. Ja, die aktuellen Betriebssysteme sind nahezu komplett ausgereift. Da gibt es nicht mehr viel zu innovieren. Bevor es allerdings derartige Züge wie bei Safari annimmt, sollte man es lieber so belassen, wie es seit Jahren gut war.

Interessant ist übrigens in diesem Zusammenhang auch eine Anekdote von Chris Lee, seines Zeichens ehemaliger Interaction Designer im Team von Googles Chrome-Browser. Dort hatte man nämlich vor fünf Jahren bereits mit der Verlegung der Adressleiste an diese Position experimentiert, genau so also, wie es Apple aktuell bei Safari unter iOS 15 tut. Grund war der sich bereits damals abzeichnende Trend hin zu größeren Smartphone-Displays, die eine Einhandbedienung immer schwieriger machten. Die Verlagerung der Adressleiste an den unteren Bildschirmrand erachtete man bei Google damals bereits als ein Weg, wie man diesem Problem begegnen könnte. Die getätigte Umsetzung erfuhr dann auch viel Zuspruch unter den Google-Mitarbeitern, fiel jedoch, ebenso wie aktuell Safari unter iOS 15, bei den Nutzern durch, was das Team letztendlich dazu bewog, die Leiste doch weiterhin am oberen Bildschirmrand zu belassen. Lee selbst gehörte schließlich zu denjenigen, die den Daumen zu der geplanten Designänderung senkten und schließt seine Erklärung mit einem Satz, den man sich vielleicht auch in Cupertino einmal zu Herzen nehmen sollte:

"Sei mutig, aber auch bereit, den Nutzern zuzuhören und dich selbst zu hinterfragen."

Der ehemalige iOS-Chef Scott Forstall wurde nach dem Debakel rund um die Einführung einer eigenen Karten-App im Jahr 2012 mit Schimpf und Schande vom Apple-Hof gejagt. Ihm folgte zwei Jahre später der iOS-Oberflächenentwickler Greg Christie. Im Anschluss wurde Apples Design-Guru Jony Ive die Gestaltung der iOS-Oberfläche in die Hand gelegt. Auch Ive hat das Unternehmen inzwischen verlassen und man wird das Gefühl nicht los, als sei in den vergangenen neun Jahren ein wenig die ehemals klare Richtung bei der Gestaltung der iOS-Oberfläche verloren gegangen. Ja, man konnte Forstall sicherlich für den von ihm propagierten Skeuomorphismus kritisieren. Eine einfache Persönlichkeit soll er zudem auch nicht gerade gewesen sein. Dennoch zeichnete sich die Oberfläche unter ihm durch eine gewisse Klarheit und intuitive Bedienung aus. Wollen wir hoffen, wass Apple diese Richtung, nicht nur bei Safari, irgendwann zurückgewinnt. Denn trotz aller neuen Funktionen und Möglichkeiten auf den Smartphones sollte nach wie vor gelten: Design Follows Function

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Kommentare

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SOE am :

Das kommt davon, wenn Designer die Macht übernehmen und schalten können, weil das Unternehmen ja profitabel bleibt.

Apple Magic Mouse 2 bleibt das beste Beispiel dafür, wo Apples Prioritäten liegen. Wenn man das Produkt hinstellt, soll es gut aussehen. Die Funktion ist zweitrangig.

Ja, Fans reden sich das schön. Nennt man Kognitive Dissonanz.

Da kann man das Produkt nur ablehnen. Bei der Magic Mouse 2 zeigt der Zweitmarkt, wie unbeliebt das Ding ist. Bei der Software einfach "Automatische Updates" deaktivieren.

r4lv1 am :

Nun ja, ich mag meine Magic Mouse 2. ich w\374rde mir nur w\374nschen, dass man die Magic Mouse kabellos laden k\366nnte, oder zumindest die Ladebuchse so angebracht w\344re, dass man die Mouse auch beim Laden benutzen kann.
Das Design von Forstall fand ich genial, da es den Umstieg auf Digital sehr einfach gestaltet hat. Die Farbgebung der Hintergr\374nde etc. h\344tte zwar durchaus anders sein k\366nnen aber die eigentliche Bedienung war sehr nah dran am gewohnten analogen.
Leider hat Apple schon seit langer Zeit in vielerlei Hinsicht die einfache, intuitive Bedienung aufgegeben und stellt mir zu oft das Design in den Vordergrund, verrennt sich jedoch dabei.
F\374r mich auch ein Riesenfehler bei den neuen iMacs. Von der tollen Farbe des Geh\344uses habe ich wenn ich davor sitze fast nichts. Ich sehe eine d\344mliche, milchig wei\337e Front. Grauenvoll.

SOE am :

Ich meinte die Ladebuchse.
Sorry, wusste nicht, dass das unklar sein könnte.

Und ansonsten sind wir uns hier mal wirklich alle einer Meinung: Nichts gegen ein paar exzentrische Entscheidungen. Aber überall steht das Design im Vordergrund. Bei Geräten, die laut Stevie, dafür da waren, dass sie uns helfen.

ItsMe am :

Wir sind uns wohl einig, dass die Design-Entscheidungen im Hause Apple weniger negativ ins Gewicht fallen als diejenigen von Android-Anbietern. Design war, ist und bleibt reine Geschmacks- und Gew\366hnungssache.

Wem ein gewisses Design von Hersteller A nicht zusagt, m\366ge doch bitte testen, ob das Design von Ger\344ten anderer Hersteller schmeichelhafter und ansprechender ist.
Nach 20 Jahren Apple und 13 Jahren iPhone komme ich zu dem Schluss, dass Apple gar nicht mal so viel falsch macht. Den direkten Vergleich mit MacOS/Windows/Linux und iPhone/Android erfahre ich t\344glich, sowohl im beruflichen als auch privaten Leben.

SOE am :

Ja, Apple ist in vielen Punkten besser als die Konkurrenz. Das ist der Grund warum ich sie - noch - benutze und bevorzuge.

Aber das Thema ist Apple. Nicht Windows und auch nicht "Windows im Vergleich zu Apple".

Apple und deren benutzerunfreundliche Entscheidungen.
Und das Design über die Benutzerfreundlichkeit zu stellen ist keine Geschmacksfrage, sondern widerspricht den Prinzipien des Gründers.

ItsMe am :

Apple hat dem Design schon immer einen sehr hohen Stellenwert einger\344umt - wenn etwas sehr gut funktioniert, aber mies aussieht, kauft es niemand. Wenn etwas sehr gut aussieht, aber mies funktioniert, kaufen es einige. Dazu f\344llt mir folgendes Zitat ein (Quelle: u. a. Wikipedia):

\u201cDesign is not just what it looks like and feels like. Design is how it works.\u201d

\u201eDesign ist nicht nur, wie es aussieht oder sich anf\374hlt. Design ist, wie es funktioniert.\u201c

\u2013 Steve Jobs: The Guts of a New Machine (1993, Artikel in der New York Times)

Das hei\337t, um eine bestehende oder neu erfundene Funktion oder Technik wird das Design \u201eherumgebaut\u201c, sodass am Ende ein \u201eHandschmeichler\u201c mit intuitivem Bedienkonzept herauskommt.
Und genau diesen Punkt traf und trifft Apple au\337erordentlich gut, aber eben doch nicht zu Einhundert Prozent. Und genau da kommt wieder die pers\366nliche Geschmacksfrage ins Spiel. Schlie\337lich fahren wir auch nicht alle eine S-Klasse, obwohl Mercedes mit diesem Modell Vieles richtig gemacht hat, sowohl in puncto Design als auch in technischem Sinne.

l.u. am :

Keine Ahnung, wie sich das in der Praxis gestalten wird.
Aber schon oft habe ich mich gefragt, ob das mit der Adresse nicht besser zu l\366sen ist, weil man auf den Displays nicht mehr mit einer Hand in die Leiste kommt. F\374r mich scheint eine Adressleiste im unteren Bereich eine gute L\366sung zu sein, wenn alles drumrum passt.
Gewohnheiten kann man \344ndern.
Ich gew\366hne mich lieber an etwas neues, was im Laufe der Zeit praktischer ist, als an einer umst\344ndlicheren Gewohnheit festzuhalten, nur weil \u201adas schon immer so war\u2018. So alt m\366chte ich nicht werden, das diese Gedanken zu meinem Standard werden.

Torro am :

Also mir gef\344llt es (nach einer Umgew\366hnungsphase) jetzt so besser. F\374hlt sich auch ich\u2019s aufgezwungen an, sondern irgendwie \u201emutig und neu\u201c. Der Refresh button in der Suchleiste st\366rt mich eigentlich nicht, aber ja k\366nnte man als \374berladen empfinden \ud83d\ude05

Niels am :

Warum am Safari Browser festhalten? Seit einem halben Jahr bin ich unter iOS und macOS auf den BRAVE Browser umgestiegen mit all seinen Vorteilen f\374r die Privatssph\344re. Selbst die Tab-Verwaltung ist zwar weniger schick, aber viel \374bersichtlicher.

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